Unser Wagen war sehr alt! So einen alten Eisenbahnwagon haben wir wohl noch nie gesehen und ich hatte beinahe etwas Bedenken, dass er nicht während der doch z. T. schnellen Fahrt auseinanderfällt. Dem gegenüber war es aber auch der schönste Wagen bis jetzt, die breitesten Betten, die nettesten Zugbegleiter, und auch eine ganz tolle Strecke durch die Karpaten.
Wir hatten wegen dem Grenzübertritt der mitten in der Nacht bevorstand, noch etwas Bedenken. Es hiess, das dauere mehrere Stunden, es werde alles auseinandergenommen, das ganze Gepäck durchsucht, man müsse auch eine Krankenversicherung abschliessen, Migrationskarte ausfüllen, Deklaration für Computer und Kamera und so weiter, dann werden noch die Räder am Eisenbahnwaggon abgeschraubt und auf die breite russische Spur umgebaut. Das alles mit nur einer Stunde Schlaf seit unserer Abreise am Samstag.
Wir tranken erstmal einen richtigen russischen Tee aus dem Glas mit dem silberigen Halter. Mit Teetrinken werden fast alle Probleme gelöst! Wie gesagt, obwohl die Zugbegleiterin und ihr Kollege nur russisch sprachen, verstanden wir uns prima und ich war erstaunt wie gut mir die Wörter noch geblieben sind. Absolut kein Problem das ganze! Wir waren mal wieder wohl die mit der meisten Erfahrung in solchen Zügen und durften unserem deutschen Professor-Nachbar noch helfen das Bett umzubauen und auch sonst alles zu erklären. Es war eine völlig gute Stimmung in unserem Wagen, ich hätte noch ewig weiterfahren können.
Die Migrationskarte und die Deklaration holten wir uns schon früh bei der Schaffnerin, so konnte ich noch alles vorbereiten und wir versuchten dann noch ein wenig Schlaf zu finden, bevor wir gegen Mitternacht die ungarisch-ukrainische Grenze bei Zahoni erreichten.
Die Schaffnerin weckte uns und die ungarischen Zollbeamten betraten den Zug. Sie kontrollierten nur die Pässe und unsere Gesichter, bis sie den ganzen Zug kontrolliert hatten verging etwa eine Stunde. Dann rollten wir weiter zum ukrainischen Zoll. Hier kamen mehrere Leute, die einen für die Passkontrolle, die anderen für die Waren. Die Migrationskarten wurden nur für uns gestempelt, nicht aber für die Kinder, und die Deklaration interessierte niemanden weil es sich in unserem Fall nur um Privatwaren handle. Die Zöllner nahmen die Pässe mit, wir legten uns wieder schlafen, und irgendwann, viel viel später weckte uns die freundliche Zöllnerin wieder und gab uns die Pässe zurück.
Wieder rollte der Zug weiter. Nun hiess es, die Wagen im freien auf einem Lift hochzuheben, so wie man beim Auto die Räder wechselt. Die Arbeiter hatten uraltes Werkzeug, ich wollte das lieber gar nicht so genau sehen! Das Fahrwerk wurde als gesamtes abgeschraubt und die neuen Breitspurfahrwerke unter den Zug geschoben und verschraubt. Doch da schliefen wir auch schon wieder. Es ging alles ganz ruhig zu und her, kein Lärm, keine Hektik.
Als ich am Morgen erwachte, staunte ich ob der Landschaft in der wir uns befanden. Es war fast ein kleiner Kulturschock – wir waren mitten in den Karpaten. Hier gibt es nur ganz kleine absolut urtümliche Bauerndörfchen, überall stehen Heustöcke wie zu Gotthelfs‘ Zeiten. Gemäht wird mit der Sense, ein Leben wie im Mittelalter… Wahnsinn, ich hatte gar nicht damit gerechnet das zu sehen. Lauter hübsche kleine Bauernhäuser, wilde Landschaft mit riesigen Kerbeln, dann in einem Dorf plötzlich eine Kirche mit goldener Kuppel. Herrlich!
Um 11 Uhr kamen wir in Lvov an, einem beliebten Reiseziel in der Westukraine. Unser Transferfahrer liess auf sich warten, doch dann klappte es doch noch und wir hetzten los um endlich noch die Reservation für die Rückfahrt ab Kiev zu machen. Ein schwieriges Unterfangen! Ich traf mehrere Leute, auch Einheimische, die grösste Probleme hatten, sich durch den Dschungel an Schaltern und Bestimmungen zu kämpfen. Unser Schalter war ganz versteckt irgendwo in einem Haus im dritten Stock in einer Wartehalle. Für das Betreten der Wartehalle mussten wir 5 Grwina zahlen, obwohl man ja nicht anders konnte wenn man den Schalter brauchen muss! Die Frau hatte dann Mühe zu verstehen dass wir zwar nur 2 Fahrkarten haben aber drei Betten brauchten, und der Preis war eigentlich auch viel zu hoch. Über 100 € kostete nur die Reservation, etwa 50 oder 60 hätten es sein sollen. Aber was soll man machen, Friss oder Stirb ist die Devise! Auch wenn jemand als Übersetzer dabei ist, das nützt alles nichts. Das Land ist wirklich noch nicht für Touristen entwickelt, doch das macht ja schlussendlich auch den Reiz des ganzen aus.
Den einzigen Stress hatte ich nur mit unserem unerfahrenen Transferfahrer, von dem es hiess dass er ja so gut englisch könne. Zwanzig mal fragte ich ihn nach unseren Zugtickets für die Weiterreise, die er uns übergeben sollte, denn für das war er ja hier. Er wusste gar nichts davon, weder von „Tickets“, noch von „billeti“ noch von Enveloppe oder sonst was in der Art. Erst ein Telefon zu seinem Chef klärte die doch inzwischen einigermassen angespannte Situation auf und er zog das Couvert aus seiner Jackentasche!
Nun konnten wir endlich zu unserem Hostel fahren, in dem wir ein Zimmer für ein paar Stunden gebucht hatten, denn wir hatten keine Lust nach der langen Reise den ganzen Tag mit Gepäck irgendwo rumzuhängen. Das Hostel war praktisch, das Zimmer sehr gross und die Rezeptionistin auch sehr hilfsbereit. So konnten wir bald schon losziehen um Geld zu wechseln, eine Telefonkarte zu kaufen und die Stadt zu besichtigen. Es fiel uns sofort auf, dass die Leute hier wirklich sehr hilfsbereit sind. Im Laden von KIEVSTAR, der Telefongesellschaft, sprang sofort jemand ein um zu übersetzen, und die Verkäuferin lud den Betrag gleich noch auf unser Handy.
Lehmberg, wie Lvov auch heisst, besteht aus vielen uralten Herrschaftshäusern und gehört zum Weltkulturerbe der Unesco. Im Mittelalter gegründet, wurde die Stadt von den Österreichern und Polen beherrscht, was sich auch deutlich im Stadtbild mit den Fussgängerzonen, Freiluftkaffees und den alterwürdigen Häusern zeigt.
Wir genossen unsere Ruhepause und die Kinder erfreuten sich am Jaccuzi im Hostel, bevor unsere Reise weiter nach Odessa führte.
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen