Mit dem Taxi fuhren wir am Abend zum Bahnhof in Lvov. Welche Wohltat, endlich an einem wohlorganisierten Bahnhof abzufahren, wo die Informationstafeln zwar in kyrillischer Schrift, aber deutlich mit entsprechender Zugnummer beschriftet erscheinen. Unser Zug war schon rechtzeitig angeschrieben und ohne Eile konnten wir uns auf unser Gleis begeben. Nachdem Pässe und Zugtickets von der Schaffnerin kontrolliert wurden, konnten wir den alten russischen Wagon besteigen. Die neueren Wagons sind der ersten Klasse vorbehalten, die uns aber insofern nichts nützt, da es in diesen Abteilen nur jeweils zwei Betten gibt. Wir hatten ein „Coupé“, ein 4-Bett-Abteil, in denen auch die meisten Einheimischen reisen. Das lustige an unserem Wagon war, dass er nur zur Hälfte aus solchen Coupés bestand, die andere Hälfte nahm ein „Buffet“ ein, ein kleines Restaurant mit einem Kiosk der Getränke und Snacks anbot. So herrschte natürlich bald Betrieb, und es dauerte nicht lange, trafen wir schon den ersten Landsmann. Einen Ostschweizer, der seine ukrainische Freundin in Lehmberg besuchte und mit ihr nun in den Urlaub auf Krim reiste. Er staunte ob unserer Reise und hatte selber überhaupt keine Erfahrung, so durften wir ihm auch mal wieder alles erklären. Etwas später kam seine Freundin uns besuchen, sie wollte die Schweizer Familie die ihre Stadt besuchte, offiziell begrüssen. Eine freundliche junge Frau, die als Fremdenführerin arbeitet und sehr stolz auf die schöne alte Stadt ist. Ungewiss nur die Zukunft die dem jungen Paar aufgrund der grossen Distanzen bevorsteht.
Es war jedenfalls wieder sehr lustig und eine gute Stimmung im Zug, doch leider mussten wir ja wieder mal schlafen gehen und die Kinder ins Bett bringen und konnten nicht die ganze Nacht schwatzen…
Die Betten im 4-er Abteil waren schmaler als im 3-er Abteil das wir auf der Strecke Budapest – Lvov hatten, und die Nacht war insgesamt auch nicht allzulang, weil wir bereits am 8 Uhr am nächsten Morgen in Odessa ankamen.
Der Bahnhof in Odessa und das Treiben das nach Ankunft eines Zuges herrscht, ist einmalig. Hunderte – vor allem Frauen allen Alters – laufen dem Bahnsteig entlang mit Zetteln in der Hand, die darauf hinweisen, dass sie Zimmer anbieten. Am liebsten hätte ich mir vorgestellt, wie die Zimmer je nach dem Äusseren der Personen aussehen und das dann angeschaut, und ich nahm mir vor, das nächste Mal sowas zu versuchen. Doch dieses Mal hatten wir eine Wohnung reserviert und mussten weitergehen, weil unser Fahrer schon auf uns wartete.
Ein lustiger Kerl holte uns ab, und weil die Wohnung noch nicht frei war, stellten wir unser Gepäck in einem Hotel ganz in der Nähe ab. So konnten wir unbeschwert die Erkundung der Stadt beginnen.
Zu Fuss liefen wir zum Hafen, und waren sofort überwältigt vom ersten Eindruck der Stadt. Der Hafen von Odessa, das ist wie Musik in den Ohren. Wieder einmal im Leben einen legendären Punkt erreicht. Odessa ist so ähnlich wie Shanghai mit vielen Mythen und Räubergeschichten verbunden, und auch heute noch sagt man dem hohen Lebensstandard der Stadt unredliche Geschäfte nach. Doch davon merken die Touristen nichts – jedenfalls nichts negatives. Selten noch haben wir so eine friedliche Stadt wie Odessa gesehen. Es scheint hier wirklich alles „easy“ zu sein, die Leute sind freundlich und friedlich, es ist kein Massenansturm und kein chaotisches Treiben. Statt dessen geniessen wir im Hafenkaffee bereits um 10 Uhr morgens frische Piroschki, das sind die feinen gefüllten Teigtaschen die man in Russland überall von den Babuschkas an den Bahnhöfen bekommt, und sitzen einfach da und bestaunen das riesige Kreuzfahrtschiff, dass gleich vor unserer Nase vor Anker liebt. Wie schön wäre es gewesen, hier mit dem Schiff aus Istanbul anzukommen – das war auch einmal eine Variante, die wir ins Auge gefasst hatten. Man steigt aus dem Schiff aus, sieht den „Meeresbahnhof“, wie der Hafen auf Russisch heisst, und dann sieht man die Potjeminische Treppe, welche – fast wie zum Empfang eines Königs – in vielen Stufen hinauf zur Stadt mit all ihren Palästen und Herrschaftshäusern führt. Katharina die II. liess Odessa im 18. Jahrhundert errichten, und das Flair aus jener Zeit ist auch heute noch gut zu spüren.
Wir müssen uns zum Glück nicht mit dem Kinderwagen die Treppen hochkämpfen, denn gleich daneben fährt ein Miniaturbähnchen das auch schon 100 Jahre auf dem Buckel hat, die Steigung hinauf. Gratis und franko, wohlverstanden. Oben angelangt befindet man sich sogleich auf der berühmten Flaniermeile, dem Primorskiy Boulvard, eine von Azalen und Platanen gesäumte Fussgänerzone hoch über dem Meer. Wir flanieren ihr entlang zum Rathaus, einem Prachtsbau mit weissen Marmorsäulen. Davor das Puschkindenkmal, und dahiner das Archäologische Museum, genau so aussehend wie im Indiana Jones Film. Etwas weiter oben dann die Krönung des ganzen: das Opernhaus von Odessa, einfach unglaublich genial anzusehen. Ein Monumentalbau mit Springbrunnen und unendlich vielen Stukkaturen. Es wurde erst kürzlich renoviert und mit vielen Pfählen vor dem Absinken gerettet. Nach dem Opernhaus in Wien soll es das 2. Beste in Europa sein.
Schlussendlich gelangen wir in die Derabryskaya Strasse, eine beliebte Fussgängermeile mit vielen Restaurants und Läden. Hier suchen wir uns ein schattiges Plätzchen aus und bekommen ein super gutes Essen: einen Teller Blinis (Crepes) gefüllt mit Quark und Fleisch, einen Teller Crevetten, und noch einen Teller mit Stroganoff. Alles wunderbar, und gestärkt können wir nun in unsere Wohnung einziehen.
Die Wohnung ist mitten im Stadtzentrum in einem neu renovierten Gebäude im Hinterhof, und besteht aus einem Wohnzimmer mit Bettsofa und riesigem TV, einem Schlafzimmer und einer Küche mit Esszimmer und ist top modern gebaut. Den Kindern und uns gefällt es sofort und endlich können wir uns nach der lange Reise mal ein wenig einrichten und ausbreiten.
Leider geht es Anja bald nicht mehr ganz so gut. Sie hat schlimmen Durchfall aufgelesen und wir machen uns ernsthaft Sorgen. Julia geht mit mir in die Apotheke und wir besorgen Medizin. Wir hatten natürlich auch schon selber etwas dabei, aber in den letzten Jahren hatten wir die Erfahrung gemacht, das die lokalen Mittel meist einfach besser helfen. Daher wollten wir nun keine Zeit verlieren und gleich damit anfangen.
Auch Sascha plagte bald das gleiche Übel. Wahrscheinlich hatten sie beim Baden im Hostel in Lvov Wasser geschluckt, oder aber es war einfach die Klimaumstellung weil es hier nun plötzlich heiss wurde. Auf jeden Fall packten wir unsere Tochter in Windeln, die man hier sogar einzeln in der Apotheke kaufen kann, setzten sie auf Diätkost und machten einfach alles, damit es schnell wieder gut wurde.
Am nächsten Tag steht ein Highlight für die Kinder auf dem Programm: ein Besuch des Delfinariums von Odessa. Julia, unsere Agentin hier vor Ort, erklärt uns wie wir mit dem Bus dorthin kommen. Doch das ist trotzdem nicht so einfach. Leider fahren wir zuerst in die falsche Richtung, der Fahrer ist aber sehr nett, erklärt uns nochmal alles und gibt uns sogar das Geld für den Fahrpreis zurück. Also nehmen wir das nächste Marschruttaxi – so heissen hier kleine Busse die eigentlich Sammeltaxis sind und regelmässig auf festen Routen verkehren – in die andere Richtung. Jemand zeigt uns, wo wir aussteigen müssen, aber damit sind wir noch lange nicht am Ziel. Mit unserem GPS und Fussgängernavigation kommen wir auch noch nicht so gut zu recht und laufen einen ziemlichen Umweg, was den Vorteil hat, dass wir den Frachthafen noch zu Gesicht bekommen. Durch den Shevchenkoff Park gelangen wir schliesslich endlich zum lang ersehnten Ziel und schaffen es sogar noch, die Mittagsvorstellung der Delfinshow anzusehen. Ein Spektakel das es bei uns so nicht gibt. Das Delfinarium hier ist eines der grössten und wichtigsten am Schwarzen Meer und setzt sich für den Schutz und die Pflege der Meeressäuger ein. Mit den Shows wird das nötige Geld für die Finanzierung all dieser Projekte gesammelt.
Anja quietscht vor Freude, als Seehunde auf den Delfinen durchs Becken surfen oder zur Musik tanzen. Die Arena ist recht klein und die springenden Delfine fliegen direkt vor unserer Nase in die Luft hinauf, um gleich danach mit lautem Klatsch ins Wasser zu platschen!
Das Wetter ist leider nicht mehr ganz so toll, es stürmt und sieht nach Regen aus, so machen wir uns gleich nach der Show auf den Weg zurück zu unserer Wohnung. Am Abend spazieren wir noch durch den nahegelegenen Park, wo ein grosser Spielplatz und sonst allerlei Aktivitäten die Kinder wieder erfreuen. Besonders die Elektroauto die man hier minutenweise mieten kann, haben es ihnen angetan. Was tut man nicht alles für die Kinder…!
Am letzten Tag in Odessa ist das Wetter grauslich. Es regnet in Strömen. Trotzdem machen wir uns zu Fuss auf, um den grössten Bauernmarkt der ehemaligen Sowjetunion zu besuchen. Hinter dem Bahnhof bieten die Bauern aus der Umgebung alles an, was man sich vorstellen kann. Daneben gibt es aber auch Kleider, Besen und sonstigen Krimskrams für den täglichen Bedarf.
Nach einer letzten Runde auf dem Primorsky Boulvard mit seinen alten ehrwürdigen Häusern müssen wir unsere Sachen packen, denn heute Nacht geht die Reise weiter mit dem Zug auf die Insel Krim.
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